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Interview mit Bestseller-Autor Fritz Dittlbacher zu seinem neuen Buch »Warum Wein einst gesünder als Wasser war und wie Kartoffeln die Welt verändert haben«

Bestseller-Autor Fritz Dittlbacher stellt sein neues Buch vor.

Erfolgsautor Fritz Dittlbacher im Gespräch über das »Alltägliche«, über den so wichtigen »Aha-Effekt« und warum es seiner Meinung nach »die EINE Wahrheit« nicht gibt…

Er hat es wieder getan! Im Herbst 2022 hat Fritz Dittlbacher mit »Warum in Wien das Römische Reich unterging und Vorarlberg nicht hinterm Arlberg liegt« einen fulminanten Erfolg vorgelegt – nun geht der vergnügliche und unterhaltsame Blick hinter die Kulissen der Geschichte weiter! Diesmal geht es um Entdeckungen, um Techniken, um Gegenstände, ja, auch um Nahrungsmittel oder Stoffe, die das Leben vieler Menschen neu geformt haben. Denn oft sind es anfangs kleine, unscheinbare Neuerungen, die große Umwälzungen nach sich ziehen. Sie werden staunen über die Geschichtsmächtigkeit von Steigbügel, Smartphones oder Kartoffelanbau!

Herr Dittlbacher, ihr neues Buch betrachtet die Geschichte oft durch die Linse des Alltäglichen. Wie wichtig ist es, dass wir diese „kleinen“ Geschichten genauso wertschätzen wie die großen Ereignisse und Persönlichkeiten? Kann man auf diesem Weg die Lust an der Geschichte eher wecken?
Ich denke ja, dass genau das „Alltägliche“, die Hintergründe zu den laufend benutzten Gegenständen, zur gewohnten Umgebung, zu Bräuchen oder zu gerade aktuellen Nachrichtenthemen das wirklich Spannende an der Geschichte darstellen. Große Personen, große Krisen und Kriege sind natürlich auch interessant. Aber wann kommen wir mit Ihnen in Kontakt? Hoffentlich nie. Mit Nahrungsmitteln, mit Werkzeugen, mit den Regeln des täglichen Zusammenlebens dagegen unentwegt. Im Journalismus weiß man, die wichtigsten Nachrichtenfaktoren – also das, was eine Story erst zu einer Story macht – sind in dieser Reihenfolge: Nähe – Nutzen – Neuigkeit. Und genau das Alltägliche ist uns am nächsten.

Sie sind bekannt für Ihre Fähigkeit, komplexe Themen verständlich zu machen. Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis, um Geschichte spannend und zugänglich zu präsentieren?
Jede Erzählung, ob journalistisch oder historisch, muss einen „Aha-Effekt“ haben. Eine Einsicht oder ein Faktum, das unerwartet und interessant ist. Im Idealfall etwas, das so spannend ist, dass man es selbst weitererzählen möchte. Das gilt auch für Geschichten aus der Geschichte. Wenn jemand das Buch liest und währenddessen das Gefühl hat, seinem Partner etwas daraus erzählen zu wollen, dann bin ich als Autor glücklich.

Ihr Buch »Warum Wein einst gesünder als Wasser war und wie Kartoffeln die Welt verändert haben« beleuchtet vermeintlich unscheinbare Erfindungen und Entdeckungen. Gibt es eine Geschichte oder ein Objekt im Buch, das Sie besonders fasziniert hat?
Gegenstände, die den Verlauf der Geschichte geändert haben, faszinieren mich, und zwar je unscheinbarer, umso mehr. Dass die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Gutenberg die mittelalterliche Welt aus ihren Angeln gehoben hat, ist ja bekannt. Aber dass sie ebenfalls erst durch ein „Werkzeug“ entstanden ist, wissen weniger Menschen. Dieses Objekt, dieses Hilfsmittel ist der Steigbügel. Pferde begleiten den Menschen schon seit Jahrtausenden. Und fast ebenso lange reiten Menschen. Bis in die Römerzeit aber ziemlich unsicher und wackelig. Sättel waren in der Antike schon erfunden. Aber man fiel trotzdem recht leicht herunter, vor allem wenn das Pferd schnell lief und man dabei auch noch eine Waffe schwang. Im Zuge der Völkerwanderung im frühen Mittelalter kamen nun Reiterheere aus dem Osten nach Europa. Und die fielen nicht vom Ross, weil sie eben dank des von ihnen erfundenen Steigbügels sehr sicher oben saßen. Diese neue Technik machte aus dem Reiter zu Ross einen fast unbesiegbaren Gegner. Sie wurde rasch kopiert, die „Ritter“ waren nun das A und O der Kriegsführung. Und weil so ein Pferd viel fraß – und sein Reiter viel üben musste – stellten die Landesherren diesen Paradekriegern andere Menschen als deren Untertanen zur Seite. Der Feudalismus mit seiner Trennung in Adel und gemeines Volk war erfunden – als Folge des unscheinbaren Werkzeuges „Steigbügel“.

Sie schreiben darüber, dass die Kartoffel die Industrialisierung beeinflusst hat. Welche anderen Lebensmittel oder Objekte haben Ihrer Meinung nach die Geschichte ebenso stark geprägt?
Als Journalist interessieren mich mediale Umbrüche besonders. Den Buchdruck habe ich schon erwähnt: Vor Gutenberg gab es in ganz Europa, vom Atlantik bis zum Ural, rund 30.000 handgeschriebene Bücher. 50 Jahre nach Erfindung der Druckerpresse waren es mehr als zwölf Millionen. Diese Explosion an verfügbarem Wissen brachte eine Lawine an Umbrüchen mit sich, vom großen Zeitalter der Entdeckungen bis zum Protestantismus. Und um beim Druckergewerbe zu bleiben: Die Erfindung der Rotationsdruckmaschine machte den Weg zur (billigen) Massen- und Boulevardpresse frei, samt Demokratisierung und Nationalismus, alles Kinder der Mitte des 19. Jahrhunderts. Achtzig Jahre später wäre Goebbels dann ohne „Volksempfänger“ nicht halb so wirksam gewesen. Den Siegeszug der amerikanischen Populärkultur hätte es ohne TV nicht gegeben. Und ohne social media wäre Barack Obama nicht US-Präsident geworden. Donald Trump aber auch nicht…

Sie zeigen, dass das Smartphone unsere Welt massiv umwälzt. Glauben Sie, dass es die bisher in der Menschheitsgeschichte größte Veränderung mit sich gebracht hat? Welche langfristigen Veränderungen sehen Sie durch diese Technologie in der Gesellschaft?
Dass Technologien komplexe Gesellschaften überhaupt erst erschaffen haben, ist ja unumstritten. Das beginnt bei der jungsteinzeitlichen Revolution, als Ackerbau und Viehzucht plötzlich dazu führten, dass sich der Mensch „die Erde untertan“ machen konnte. Und das geht natürlich bis herauf ins 21. Jahrhundert. Das Smartphone ändert unser Leben gewaltig. Vieles wird durch den unmittelbaren Zugriff aufs Internet leichter, viel Erhaltenswertes geht aber auch dadurch verloren. Wo sind noch die Grenzen der Privatheit? Wer kontrolliert was? Und wie mächtig wird das jüngste Kind der aktuellen technologischen Revolution, die künstliche Intelligenz? Ich habe darauf keine Antworten. Ich kann nur sagen: Wir leben in spannenden Zeiten.

Herr Dittlbacher, Sie sprechen auch über gescheiterte Staaten. Können Sie ein Beispiel nennen, das Sie besonders spannend finden, und was wir daraus lernen können?
Besonders spannend und besonders bedrohlich finde ich das Beispiel des Libanon: Bis in die 70er Jahre eines der wohlhabendsten Länder, damals reicher als Österreich, ist es jetzt ein Land am Abgrund und teilweise schon darüber hinaus. Ein Land, zerrissen von Partikularinteressen, von religiösen Fraktionen. Man könnte auch sagen: Ein Opfer der inneren Polarisierung. Dass man über allem Trennenden das Einende nicht vergessen darf, ist für mich die zentrale Lehre aus diesem Scheitern.

Ein Zitat von Ihnen: „Wissen wirkt nur dann, wenn es von vielen gewusst wird.“ Wie können wir Ihrer Meinung nach dafür sorgen, Wissen, einem breiten Publikum zu vermitteln?
Mit viel Freude am Erzählen und am „Aha-Effekt“ möglichst vielen Menschen viel Wissen über die Welt nahezubringen. Keine Angst vor dem hässlichen Wort „Infotainment“ haben. Ich trete im Fernsehen regelmäßig zwischen Schlagersängerinnen, Theatermenschen, Grillweltmeistern und Tierärzten auf. Es ist jedes Mal eine wilde Mischung, aber ich liebe es – und ich erzähle zwischen Rosenzucht und Schädlingsbekämpfung meine Geschichten von Aufstieg und Untergang. Genau am richtigen Ort, wie ich meine.

Als Historiker und Journalist haben Sie viele Rollen. Wie beeinflusst Ihre Arbeit im Fernsehen Ihre schriftstellerischen Tätigkeiten und umgekehrt.
Die Arbeit im Aktuellen Dienst eines Fernsehsenders bringt dich dazu, möglichst kurz, klar und prägnant zu sein. Bei uns gibt es den Spruch: „Du kannst alles erzählen. Nur nicht länger als zwanzig Sekunden“ – das ist bei den Nachrichten die Obergrenze für sogenannte „Originaltöne“, also die Interview- oder Rede-Ausschnitte, die dann auf Sendung gehen. Sehr rasch am Punkt zu sein ist daher etwas, das ich mir auch beim Bücherschreiben vornehme. Und andererseits schadet mir die eingehende Beschäftigung mit Fragen und Themen wie im Buch auch bei meiner TV-Arbeit nicht.

Sie lehren auch Medienethik. Welche ethischen Überlegungen halten Sie bei der Vermittlung von Geschichte für besonders wichtig?
Die zentrale Botschaft in meinen Ethik-Vorlesungen ist: Es gibt die eine umfassende Ethik nicht, jeder Mensch handelt nach seiner eigenen Maxime. Es gibt auch die eine Wahrheit nicht. Ethische Entscheidungen können immer nur im Prozess einer möglichst reflektierten und redlichen Überlegung fallen, aber sie bleiben stets bloß ein Versuch, dem Wahren und Richtigen nahezukommen. Diese Skepsis den eigenen Urteilen und Vorurteilen gegenüber halte ich auch in der Geschichts-Vermittlung für wichtig. Ich glaube schon, dass eine breite Kenntnis von Fakten, auch von historischen, das eigene Urteilsvermögen über die Welt stärkt. Aber man muss immer akzeptieren, dass andere Menschen zu anderen Schlussfolgerungen kommen. Um aufs Feld der Ethik zurückzukommen: Die Verfechter der „Kant´schen Ethik“ werden zu anderen Antworten auf ethische Fragestellungen kommen als jene des recht pragmatischen „Utilitarismus“. Es hilft aber, die Entscheidungsgrundlagen des jeweils anderen zumindest zu kennen. Also etwa den kategorischen Imperativ des Immanuel Kant gegen das „größte Glück der größten Menge“ der Utilitaristen. Und so ist es auch in der Geschichte. Wer sich die Geschichte des türkischen Volks ansieht, versteht vielleicht die Erdogan-Freudenfeiern in Wien-Favoriten besser. Wer mein Buch gelesen hat, der kann das.

Wir danken für das Gespräch!

Der Autor: Fritz Dittlbacher ist Chefreporter der „Zeit im Bild“ im ORF und seit vielen Jahren Politikjournalist. Dazu ist er auch promovierter Historiker, diplomierter Kommunikationswissenschaftler, Fachhochschulprofessor für Medienethik – und immer wieder im Fernsehen zu sehen, wenn es darum geht, etwas zu erklären. In seiner wöchentlichen Rubrik in der Vorabend-Infotainment-Sendung „Studio 2“ im ORF behandelt er aktuelle Themen aus historischer Sicht.

Bei Ueberreuter ist der Bestseller »Warum in Wien das Römische Reich unterging und Vorarlberg nicht hinterm Arlberg liegt« erschienen.

Das neue Buch »Warum Wein einst gesünder als Wasser war und wie Kartoffeln die Welt verändert haben« wird am 10. Oktober erscheinen.

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