Der verblüffenden Einfluss von Marken auf unsere Wahrnehmung, unser Verhalten und unsere Gesellschaft. Das neue Buch von Armin Bonelli enthält dazu unterhaltsame Erkenntnisse.
Warum schreiben Sie ein Buch über Marken aus dieser neuen Perspektive?
Es gibt hunderte Fachbücher über dieses Thema. Aber die richten sich ausschließlich an Marketing-Spezialisten. Ich habe nirgendwo ein Buch gefunden, das sich an Menschen richtet, die sich die Frage stellen, warum unsere Kinder Nike-Sneakers wollen und welchen Einfluss Marken auf unsere Gesellschaft haben.
Was hat sie bewogen, Anekdoten in den Mittelpunkt zu stellen?
Mit interessieren vor allem die Geschichten der Menschen. Ich beobachte mich und andere gerne dabei, was sie kaufen und wie sie mit Marken umgehen. Wissenschaftliche Studien sind toll, mein Buch ist voll davon. Doch es sind die Geschichten der Menschen, die mich wirklich faszinieren.
Wie haben sich Marken verändert?
Ursprünglich waren Marken ein Qualitätssiegel für das Produkt. Heute ist das Produkt oft nur noch Träger des Symbols.
Sie behaupten, dass Marken sagen, wer wir sind?
Wenn ich in Deutschland im Hotel bin, greife ich gerne zur Bild-Zeitung. Ich finde das großartige Unterhaltung. Manche Menschen sagen mir, sie hätten noch nie die „Bild“ in der Hand gehabt und würden es auch niemals tun. Warum? Doch nicht, weil sie ernsthaft befürchten, nach dem einmaligen Konsum dieser Zeitung im Handumdrehen zu verblöden. Der Grund liegt vielmehr in dem Symbol und was es über uns aussagt. Mit solchen Symbolen zeigen wir der Welt – aber auch uns selbst –, wer wir sind.
Sie vergleichen Marken mit zwischenmenschlichen Beziehungen? Kann man sich auch von einer Marke entlieben?
Natürlich. Wenn sich der Partner verändert oder man sich selbst verändert, sodass es nicht mehr passt. Eine meiner Lieblingsmarken war Playmobil. Ich habe mich verändert, das hat letztlich zum Bruch unserer Beziehung geführt.
Es gibt Menschen, die Marken ablehnen. Wird diese Gruppe immer größer?
In unseren Umfrageergebnissen liegt diese Gruppe bei 20%. In der Typologie, die wir entwickelt haben, nennen wir sie SPOCK. Diese Menschen sind grundsätzlich skeptisch gegenüber Marken und ihren Versprechen. Das heißt aber nicht, dass sie keine Markenpräferenzen haben. Sie sind nur wählerischer und bleiben ihren eigenen Marken lange treu.
Teure Produkte und Marken werden oft kopiert oder gefälscht. Ist das eine Gefahr?
Ein Luxusprodukt definiert sich heute nicht mehr durch seine Qualität, sondern durch einen hohen Preis und künstliche Verknappung. Das ist ein simpler psychologischer Trick: je schwerer wir an etwas rankommen, desto größer ist die Begehrlichkeit. Wenn die Barrieren zu hoch werden und die Nachfrage entsprechend groß ist, dann sucht sich der Markt neue Wege. Produktfälschungen folgen lediglich einer ökonomischen Logik. Die Kopie ist Teil des Spiels.
Finden Sie Marken generell gut oder schlecht?
Weder noch. Sie sind Teil unserer Zivilisation, so wie Kirchtürme oder Verkehrsampeln. Sie sind ein absurdes Phänomen, das mich fasziniert. Ich untersuche es, und ich kann darüber staunen und mich auch dafür begeistern, wie man sieht.
Sind Sie selbst auch ein Markenopfer?
Natürlich! Meine erste Markenobsession hatte ich mit neun Jahren. Damals wollte ich unbedingt Adidas Turnschuhe. Ich war überzeugt, dass der Besitz dieser Schuhe die Erlösung meines Sehnens und meiner Qualen bedeutet. Das erregte Aufsehen, weil Markenkleidung für Kinder in den 1970er-Jahren noch wenig verbreitet war.
Haben Sie schon einmal eine Marke gekauft, die Ihnen später peinlich war?
Natürlich. Mit Mitte zwanzig habe ich mir meinen ersten Rimowa-Koffer gekauft. Ich wollte die Interrail-Phase hinter mir lassen und zum weltläufigen Geschäftsreisenden aufsteigen. Mitunter kaufen wir Marken als Abkürzung, um als die Person zu erscheinen, die wir gerne wären. Trotz der großen Freude hatte ich das unangenehme Gefühl, dass der Rimowa-Koffer nicht wirklich zu mir passte. Denn ich war ja nicht der, der vorgab zu sein. Das fühlte sich unbehaglich an.
Sind Marken heute eine Religion?
Dieser Frage widme ich ein ganzes Kapitel im Buch. Ich habe versucht nachzuweisen, dass Apple Stores und NikeTown nach den gleichen Prinzipien gebaut sind wie Kathedralen. Die Lebensgeschichte von Steven Jobs liest sich ganz ähnlich wie die von Jesus und Mohammed. Es wird deutlich, dass die Marke das Produkt in eine transzendente, spirituelle Sphäre verschiebt. Mit dem Erwerb eines Produkts werden wir in einen Kreis von Auserwählten aufgenommen.
Wie wird die Welt der Marken in 50 Jahren aussehen?
Marken werden in 50 Jahren nicht durch Unternehmen, sondern durch die Menschen definiert, die sich um eine Marke zusammenfinden. Marken werden zu Plattformen der gesellschaftspolitischen Willensbildung. Sie werden Nationalstaaten, politische Instrumente und Religionen fast vollständig abgelöst haben.
Wäre eine Welt ohne Marken vorstellbar?
Natürlich. Immerhin gibt es dieses Phänomen erst seit einigen Jahrzehnten. Den Nährboden für Marken bilden eine globale Marktwirtschaft, Massenmedien und Überproduktion. Nehmen sie eine dieser Komponenten weg, und es gibt es keine Marken im heutigen Sinn.
Was raten Sie jemandem, der eine neue Marke aufbauen will?
Schau dir an, wie Kulte und Religionen funktionieren. Marken funktionieren ähnlich.
Was müsste ich tun, um eine etablierte Marke möglichst schnell zu zerstören?
Sie nicht mehr kaufen. Und dafür sorgen, dass andere sie auch nicht mehr kaufen. Dazu braucht man nur eine Verfehlung des Unternehmens und eine kritische Masse, die sich daran stößt. Mit anderen Worten, einen Shitstorm.
Sie haben auch eine Typologie und einen Persönlichkeitstest entwickelt: Die 10 Markentypen. Was war ihr Anliegen?
Unser Verhältnis zu Marken spielt sich weitgehend im Unbewussten ab. Mein Anliegen ist es, dieses Verhältnis besser zu verstehen. Es ist eine spielerische Diagnostik, um uns selbst besser kennenzulernen und unserem eigenen Kaufverhalten auf die Schliche zu kommen.
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Mehr zu Armin Bonelli erfahren Sie hier: www.arminbonelli.com